Das Graue Langohr (Plecotus austriacus) ist eine wärmeliebende Fledermaus die landwirtschaftlich geprägte, klein strukturierte Lebensräume in Siedlungsnähe bevorzugt und auch im klimatisch begünstigten Weinlandkreis Kitzingen vorkommt. Eine kleine Kolonie lebt unter meinem Dach, wer diesen Blog verfolgt hat schon über sie gelesen. Sie leben unauffällig, fast heimlich und sind durch unbedachte Renovierungen ihrer Quartiere, durch Ausräumen von Landschaften, Wegfall von naturbelassenen Grünanlagen und durch Insektenmangel bedroht.
Um mehr über diese Art zu erfahren, um diesen Tieren besser helfen zu können, hat der Freistaat Bayern ein Artenhilfsprojekt gestartet, als Teil des "Biodiversitätsprogramms Bayern 2030". Hierbei wurde eben diese Kolonie unter meinem Dach ausgewählt. Man will in Erfahrung bringen wo und wonach sie jagen, um Parameter welche für diese Fledermäuse wichtig sind, anschließend gezielt verbessern zu können.
Beitrag aktualisiert: 11.04.2019
Um die Langohren in der Nacht verfolgen zu können, wurden zwei Tiere telemetriert. Hierbei wurde jeder Fledermaus ein kleiner Sender auf den Rücken geklebt. Der verwendete medizinische Kleber hält nur wenige Tage, danach fällt der Sender ab. Die Signale, jeder Sender hat eine eigene Funkfrequenz, lassen sich mit mobilen Richtantennen empfangen, man kann somit die Fledermäuse durch die Nacht verfolgen. Wenn man ein Signal aus zwei unterschiedlichen Richtungen anpeilt, kann man den Aufenthaltsort der Tiere recht genau bestimmen und in einer Karte darstellen.
Die Telemetrie von besonders geschützten Tieren wie Fledermäusen, darf nur von speziell ausgebildeten Fachleuten durchgeführt werden und bedarf einer Ausnahmegenehmigung der zuständigen Naturschutzbehörde. In diesem Fall hat das Büro NACHTaktiv aus Erfurt die Telemetrie durchgeführt. Ich durfte sie ein paar Nächte begleiten.
Für mich war es das erste Mal, dass ich bei einer Telemetrie dabei sein konnte. Es hat mich ein bisschen an eine Safari erinnert, wie man sie aus Filmen kennt. Man fährt über Stock und Stein und versucht den Sendertieren zu folgen. Dabei gewinnt man ein neues, ein anderes Bild der Landschaft. Graue Langohren sind sehr ortstreu und legen keine weiten Strecken zurück. Ich kenne die Umgebung der Kolonie sehr gut, aber trotzdem ist es nochmal etwas ganz anderes, einer Fledermaus auf ihren nächtlichen Streifzügen folgen zu können. Der Begriff Leitstruktur hat für mich nun eine bildhaftere Bedeutung. Ökologische Leitstrukturen können Hecken, Baumreihen oder auch Feldkanten von Äckern sein. Solche linienförmigen Landschaftsbestandteile nutzen Fledermäuse wie die Langohren zur Orientierung.
Unmittelbar nach dem Aufkleben des Senders wurden die Tiere wieder frei gelassen. Es handelte sich um zwei laktierende, also säugende Weibchen. Eines wurde beim Einflug ins Quartier, das andere beim Jagen im Garten gefangen. Kurz vor der Aktion hatte die Kolonie ihr angestammtes Quartier vorübergehend verlassen und war in ein Ausweichquartier umgezogen. Dies mag klimatische Gründe gehabt haben. Manche Fledermausarten wechseln ihre Quartiere, je nach Temperatur und Wetterlage. In diesem Jahr bestand die Kolonie aus 10 Erwachsenen und 8 Jungtieren. Die Telemetrie fand Anfang Juli statt. Die Jungtiere waren schon recht groß und sind wenige Tage später auch schon mit ausgeflogen. Die Sender haben 9 Tage gehalten und wurden beide im Quartier wiedergefunden. Somit war sichergestellt, dass die Sendertiere wieder befreit und ohne Rucksack unterwegs sind.
Die beiden Sendertiere sind aus dem Quartier ausgeflogen und haben eine Weile im direkten Umfeld gejagt. In diesem Fall in den umliegenden Gärten und in einem kleinen Park am Friedhof. Erst danach flogen sie weiter ins Umland und querten eine Bundesstraße um zu einem Sonnenblumenfeld zu gelangen. Dort wurde ausgiebig nach Nachtfaltern gejagt, sie sind richtiggehend in das Feld eingetaucht. Im Verlauf der Nächte haben die Tiere blühende Linden angeflogen und wohl auch entlang von Bachläufen nach Insekten gesucht. Die genauen Ergebnisse werden von NACHTaktiv in einem Bericht zusammengestellt.
Eine andere Herangehensweise um mehr über die Jagdgewohnheiten der Grauen Langohren zu erfahren, ist das Bestimmen von Beutetierresten im Kot. Hiezu wurden Kotpellets der Kolonie aus dem Quartier gesammelt und zur Untersuchung an Frau Dr. Irmhild Wolz weiter gegeben, eine Spezialistin auf diesem Fachgebiet. Sie hat beispielsweise Beutetierreste im Kot der Großen Hufeisennasen in Hohenburg analysiert, der einzigen noch verbliebenen deutschen Wochenstubenkolonie.
Die Kotproben wurden auch mittels DNA-mapping analysiert. Hierbei wird die im Kot erhaltene DNA der Beutetiere mit einer Datenbank verglichen um die Insekten zu identifizieren.
Die Grauen Langohren sind nächtelang zielstrebig zu einem Sonnenblumenfeld geflogen. Schon beim Telemetrieren ist aufgefallen, dass dort viele Nachtfalter flogen.
Auf den Blüten der Sonnenblumen an besagtem Feld konnten schlafende Wildbienen, Florfliegen oder Ohrwürmer beobachtet werden. Von Wildbienen kannte ich dieses Verhalten. So übernachten manchmal Glockenblumen-Scherenbienen in den Blütenkelchen von Glockenblumen. Manche Wildbienen bilden sogar Schlafgemeinschaften aus mehreren Tieren und versammeln sich zur Nacht an Blüten oder Fruchtständen. Sehr schön ist das auf der Seite Wildbieneninfo von Dr. Paul Westrich zu sehen.
Vielleicht klauben die Grauen Langohren diese Beute von den Oberflächen der Sonnenblumen auf? Fledermausarten, die dazu im Stande sind nennt man "Gleaner". Diese rütteln wie kleine Hubschrauber in der Luft und lesen ihre Beute von Zweigen oder vom Boden ab. Wieso also nicht auch von Sonnenblumen?
Um einen Überblick der am Sonnenblumenfeld aktiven Insekten zu gewinnen, habe ich den Naturwissenschaftlichen Verein Würzburg, NWV, dessen Mitglied ich bin, um Hilfe gebeten. Dr. Thorsten Stühmer hat sich spontan bereit erklärt und eine Nacht für uns "geleuchtet". Dass bedeutet, mit Hilfe von bläulichem Licht, welches einen hohen UV-Anteil abgibt, wurden Nachtfalter an eine Lichtfalle gelockt um sie zu bestimmen.
44 verschiedene Arten konnten nachgewiesen werden. Die komplette Artenliste wird in den Bericht mit einfließen. Hier möchte ich nur eine kleine Auswahl dieser faszinierenden Tiere zeigen.
In der Projektbeschreibung des Artenhilfsprogramm Graues Langohr steht, dass man anhand der Erkenntnisse und Empfehlungen aus dem Bericht im Nachgang auch konkrete Maßnahmen zur Lebensraumverbesserung ableiten und umsetzen kann. Das bedeutet, es werden nicht nur Daten erhoben, sondern die daraus abgeleiteten Erkenntnisse sollen auch angewandt werden. Man könnte und wird hoffentlich Hecken erweitern die von den Fledermäusen als Leitstrukturen genutzt wurden und naturnahe Grünflächen zur Insektenjagd anlegen. Wichtig ist ein durchgängiges Futterangebot für die Langohren. Um dies zu erreichen und umzusetzen, könnten nachfolgende Beobachtungen helfen.
Die höchste Individuenzahl an Nachtfalter bildete an diesem Abend die Gammaeule (Autographa gamma), ein Nachtfalter aus der Familie der Eulenfalter (Noctuidae). Die Gammaeule ist ein Wanderfalter und wandert oft in großen Mengen aus dem Süden nach Deutschland ein. Diese Falter sind sowohl tag- als auch nachtaktiv und erlangten beim EM-Endspiel in Paris 2016 eine gewisse Berühmtheit, als tausende Gammaeulen ins Fußballstadion einflogen.
Fledermäuse sind Opportunisten, sie jagen was gerade vorhanden ist. Wenn die Gammeule in großer Zahl an den Sonnenblumen nach Nektar sucht, stellt sich das Graue Langohr an diesem reich gedeckten Tisch ein. Entscheidend ist, dass Insekten über das ganze Jahr verfügbar sind. Es müssen also von Frühjahr bis Herbst blühende Pflanzen im Umfeld der Kolonie vorhanden sein, an denen Insekten Nektar und Pollen finden.
Eines der abgefangenen Langohren war an Kopf und Ohren auffällig gelb bepudert. Offensichtlich hat es sich beim Jagen eines Nachtfalters mit dem Pollen der Pflanze eingestäubt, die dieser Falter gerade besuchte. Die Neugier, um welche Pflanze es sich handelte, war geweckt. Um dies zu untersuchen wurde eine Probe vom Pollen des Langohrs genommen. Nur, welche Pflanze in der Umgebung hat so viel und so klebrigen Pollen? Im Pfarrgarten, direkt am Quartier der Fledermäuse blühten Gemeine Nachtkerzen (Oenothera biennis), auch von diesen wurden Pollenproben als Vergleichsmuster genommen. Prof. Dr. Krohne vom Biozentrum der Universität Würzburg, hat diese Proben erstmal unter einer Stereolupe miteinander verglichen.
Um sicher zu gehen, dass es sich um Pollen der gleichen Pflanzenart handelte, wurden die Pollenproben noch im Rasterelektronenmikroskop aufgenommen. Die Übereinstimmung war offensichtlich. Es handelte sich bei beiden Proben um Pollen der Gemeinen Nachtkerze (Oenothera biennis).
Bei den Aufnahmen der Pollenprobe vom Grauen Langohr sind Prof. Krohne längliche, fast mechanisch anmutende Strukturen aufgefallen die ihm bekannt vorkamen. Er betreute 2012 eine Diplomarbeit, die sich mit den Strukturen von Schmetterlingsschuppen befasste. Welche Falterart ihre Schuppen im Pollen am Kopf des Grauen Langohrs hinterlassen hatte, war leider nicht zu klären, dafür variieren Schmetterlingsschuppen selbst innerartlich, bspw. aufgrund von Abnutzung oder Ernährungszustand, zu stark. Es wäre natürlich unglaublich spannend zu erfahren, welchem Falter das Langohr an der Nachtkerze nachgestellt hat.
Quelle: EXAMINATIONS ON NUMBER, SHAPE AND ULTRASTRUCURE OF WING SCALES IN DIFFERNET BUTTERFLY SPECIES. Anna Kohl. 2012. Julius-Maximilians University Wuerzburg, Department of Cell and Developmental Biology.
Um 1600 wurde die Nachtkerze aus Nordamerika bei uns eingeschleppt und verbreitete sich auch entlang von Eisenbahnlinien, weshalb man sie damals auch Eisenbahnpflanze nannte. Man hat Nachtkerzen früher gerne in Gärten angebaut, da ihre Wurzeln und Blätter essbar sind. Aus den Gärten entkommen, hat sie sich mit anderen Nachtkerzenarten gekreuzt und eine Vielzahl von Kleinarten sind entstanden. Eigentlich ist sie ein klassischer Neophyt, also eine Pflanze, welche sich in Gebieten ansiedelt, in denen sie zuvor nicht heimisch war. Allerdings hat sie sich mittlerweile fest etabliert und wird von uns als heimische Pflanze wahrgenommen.
Im ersten Jahr bildet sich eine fleischige Blattrosette, im zweiten Jahr folgt die Blüte. Eine Besonderheit sind die sich in der Dämmerung schnell öffnenden Blüten, ein Vorgang der sich in der Umweltbildung sehr schön nutzen lässt. Diese "Allerweltspflanze" wuchs vor wenigen Jahren noch üppig in unseren Siedlungen und Gärten. Durch Versiegelung von Flächen und übermäßige oder falsche Grünpflege, sowie durch moderne Kies- und Schottergärten sind solche anspruchslosen Ruderalpflanzen kaum noch im urbanen Umfeld zu finden. Mittlerweile wird die Nachtkerze in Saatenmischungen oder als Staude angeboten um Insekten zu fördern. Aus dem ehemaligen Neubürger wurde eine geschätzte heimische Pflanze.
Die Nachtkerzen in meinem Garten stammen aus der Saatmischung "Garten für Nachtschwärmer". Die Pollen an der Fledermaus haben die, der Saatmischung zu Grunde liegende Annahme bewiesen. Sie lockt Nachtfalter an, welche von Grauen Langohren gejagt werden.
Die Geschichte meiner Sommerwoche im Juli soll zeigen, was mich an der Arbeit im Fledermausschutz so fasziniert. Es geht um mehr als um Fledertiere. Artenschutz bedeutet zu verstehen was eine Art braucht, wie und wo sie lebt und womit sie verwoben ist. Wer hätte am Anfang der Telemetrie gedacht, dass man in die Nachtkerzen- und Sonnenblumenforschung einsteigt und Rasterelektronenmikroskope für Langohren nutzen wird? Mir gefallen diese kleinen Anekdoten, welche eine Geschichte verdichten und Puzzlestücke zu einem größeren Ganzen sind.
Ganz besonders schätze ich, bei meiner Arbeit nette Menschen kennen zulernen, offen für neugierige naturkundliche Fragestellungen, die von den Wundern der Natur genauso begeistert sind wie ich es bin. Aus den Beobachtungen dieser Woche ergaben sich weiterführende Fragestellungen. Klauben Graue Langohren schlafende Insekten von Sonnenblumen, welcher Falter wird von ihnen an den Nachtkerzen im Pfarrgarten erbeutet und wo jagen Graue Langohren wenn die Sonnenblumen verblüht sind?